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Biodiversität: Die Faktenlage zur Initiative

Themenfeld «Klima & Biodiversität: Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft»
- Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Bund und Kantone sollen verpflichtet werden, genügend Flächen zur Verfügung zu stellen, um den Artenverlust in der Schweiz aufzuhalten. Das hilft auch dem Klima. Eine Auslegeordnung von Thomas Schenk von klima-info.ch.

Dieser Text ist ein Auszug der Klima-Zeitung, die Ende August erscheint. Aus Hunderten von Publikationen, Newslettern und Online-Artikeln fasst sie alle zwei Monate alles Wichtige zu Klimapolitik und -wissenschaft zusammen. 

Die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» (Biodiversitätsinitiative), die im Herbst zur Abstimmung kommt, wurde vor vier Jahren von Natur- und Umweltorganisationen eingereicht. Sie will den Schutz unserer Lebensgrundlagen besser in der Verfassung verankern und Bund und Kantone in die Pflicht nehmen, dafür mehr Flächen und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

Der Bundesrat hatte wichtige Anliegen der Initiant:innen anerkannt und einen indirekten Gegenvorschlag beschlossen. Er wollte genügend Schutzflächen schaffen, um den Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Doch das Parlament lehnte den Gegenvorschlag ab: Der Ständerat war zu keinem Kompromiss bereit und stellte sich gegen jegliche zusätzliche Vorschriften. Nähere Informationen über die Vorlage liefert der Tages-Anzeiger (paywall) in einem Übersichtsartikel.

Wie steht es um die Biodiversität in der Schweiz?

Die Schweiz ist in Sachen Artenvielfalt eines der Schlusslichter Europas. Ein Drittel der untersuchten Arten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der natürlichen Lebensräume ist bedroht – Gewässer, Moore und landwirtschaftlich genutzte Flächen sind besonders unter Druck. Und die Schweiz hat nur eine geringe Fläche unter Schutz gestellt: Sie steht am Schluss der europäischen Rangliste, zusammen mit der Türkei und Bosnien-Herzegowina (weitere Informationen bei BirdLife Schweiz). Die Wochenzeitung fragt nach, weshalb sich selbst viele Menschen aus dem linken Lager dennoch nicht für die biologische      Vielfalt interessieren. Die Antwort liefert ein Siedlungsökologe der Ostschweizer Fachhochschule: Gerade im städtischen Umfeld führten viele Menschen «ein Leben fern von alltäglicher Arbeit in der Natur, oft mit wenig ökologischem Wissen.»

Klimawandel und Biodiversität hängen zusammen

Erhalt und Förderung der Biodiversität sind auch wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Warum? Beide Krisen hängen zusammen. Intensive Landwirtschaft und das Abholzen von Wäldern bedrohen nicht nur die Artenvielfalt, sondern setzen auch Treibhausgase frei. Umgekehrt beschleunigt der Klimawandel den Verlust der biologischen Vielfalt. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat dazu einen Bericht verfasst. 

Wachstumsparadigma überdenken

Im Online-Journal infosperber.ch erklären zwei Forscherinnen der Universität Zürich, welche grundlegenden Anpassungen nötig sind, um die Klima- und Biodiversitätskrise gleichzeitig zu meistern. Die Paradigmen des heutigen Wirtschaftssystems seien zu überdenken. Dazu gehört auch die Art und Weise, wie Güter produziert und konsumiert werden. Weshalb die Förderung der Biodiversität den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gefährdet, ist bei der Schweizerischen Energie-Stiftung zu lesen. Das im Juni angenommene Stromgesetz sieht vor, erneuerbare Stromproduktion zum grössten Teil auf bestehenden Infrastrukturen auszubauen. Windkraft- und alpine Solaranlagen soll es nur dort geben, wo es für Natur- und Artenschutz unbedenklich ist.

Die Rolle des Bauernverbands

Der Schweizerische Bauernverband lehnt die Biodiversitätsinitiative als «zu extrem und unnötig» ab. Er bekämpft sie unter anderem mit einer Auftragsstudie. Darin heisst es: «Die Zu- und Abnahmen halten sich bei fast allen betrachteten Organismengruppen die Waage resp. es sind mehr oder weniger deutliche Zunahmen zu finden.» In einem Interview mit der NZZ sagte der Studienautor: «Natürlich gibt es noch Problemzonen, aber die Gesamtbilanz ist positiv.»

Heftige Reaktion aus der Wissenschaft

Wissenschaftler:innen kritisieren die Studie vehement. Im Tages-Anzeiger (paywall) stellt ein ETH-Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution klar: «Alle Indikatoren zeigen, dass die Biodiversität in der Schweiz weiter abnimmt.» Mehr dazu im Blick und der Aargauer Zeitung (paywall).

Es ist nicht die erste fragwürdige Publikation zur Artenvielfalt in der Schweiz. Bereits im Mai berichtete das Online-Magazin Republik, dass das Bundesamt für Umwelt (BAFU) einen Bericht über den Zustand der Biodiversität geschönt habe. 

Die Fakten sind klar

Die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), das Kompetenzzentrum für terrestrische Biodiversität in der Schweiz, hat das gesicherte Wissen über den Zustand der Biodiversität sowie über Massnahmen und deren Erfolg zusammengetragen. Hier die wichtigsten Fakten:

  • Die grössten Verluste erlitt die Biodiversität in der Schweiz ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er- und 1980er-Jahre. 
  • Die meisten systematischen Beobachtungsreihen zur Biodiversität begannen vor 20-30 Jahren, als bereits grosse Verluste zu verzeichnen waren. In diesem Zeitraum gab es positive wie negative Entwicklungen bei verschiedenen Artengruppen und Lebensräumen.  
  • Eine Zunahme findet vor allem bei Generalisten statt. Das sind Arten, die entweder konkurrenzfähig oder sehr flexibel sind, wenn sich der Lebensraum verändert. Hingegen gehen Spezialisten zurück, die weniger flexibel auf Veränderungen und häufig auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen sind.  
  • Um den Artenverlust zu stoppen, braucht es zusätzliche Flächen, die qualitativ hochstehend und längerfristig gesichert sind. Auch müssen die Flächen besser vernetzt werden, damit ein Austausch zwischen Beständen stattfinden kann. 

Über klima-info.ch

Die Fülle an Informationen zu Klimapolitik- und Wissenschaften ist enorm. Die Informationsplattform klima-info.ch hilft, den Überblick zu bewahren: mit den beiden kostenlosen Produkte Climate Update (wöchentlich Nachrichten zu allen Aspekten der Klimakrise) und Klima-Zeitung (zweimonatlich kuratierte Infos zu Politik, Klimaereignissen und Studien). Für die Plattform engagieren sich Marcel Hänggi (Journalist und Autor), Anja Kollmuss (Klimaexpertin) und Thomas Schenk (Journalist und Autor).

Gastautor

Thomasschenk
Thomas Schenk, thomas@klima-info.ch

Nächstes öbu-Webinar zum Thema Biodiversitätsstrategien

Schweizer Unternehmen beeinflussen durch ihre Tätigkeiten vor Ort und aufgrund internationaler Verflechtungen die Biodiversität sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Gleichzeitig sind sie auf die Leistungen einer intakten Natur angewiesen. Im öbu-Webinar am 11. September 2024 zeigt EBP konkrete Schritte zur Erstellung effektiver Biodiversitätsstrategien sowie praxisnahen Handlungsmöglichkeiten auf.

(Titelbild: Sharissa Johnson, Unsplash)