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Ernst Ulrich von Weizsäcker: «Wegwerfen ist eine Wohlstandszerstörung»

- 2020 ist ein Jahr wie kein anderes: Auch für den renommierten Umweltforscher und ehemaligen Präsidenten des Club of Rome Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker. Im Vorfeld zum Forum ö spricht er über seine Zeit während des Lockdowns, die Auswirkungen der Wegwerfgesellschaft und wie durch eine Effizienzrevolution ein Lösungsansatz geschaffen werden könnte.

Ernst Weizsäcker lebt mit seiner Frau und der Familie ihrer gemeinsamen Tochter in einem Mehrgenerationenhaus in Emmendingen. Die Isolation während des Lockdowns nahm er persönlich eher als entschleunigend als belastend wahr. So hatte er ungewohnt viel Zeit, die er mit seiner Familie verbringen konnte. «Da merkt man, dass man sonst mit der jungen Generation etwas zu wenig in Kontakt kommt» sagt er, während er von seinen Enkeln erzählt. 

«Die grosse Freude in unseren Zivilisationen war ja das permanente Zusammenkommen von Menschen und das ist durch die Vorschriften, die dieses bedrohliche Virus nötig gemacht hat, sehr stark vermindert worden.» Besonders auf die jüngeren Generationen, etwa die seiner Enkel, könnte das einen bleibenden Einfluss haben. In politisch weniger stabilen Ländern bestehe so auch die Gefahr einer Radikalisierung und der Wunsch, in die alte Überschussmentalität zurückzukehren. Ernst Weizsäcker sieht in der Krise aber auch eine Chance: Gerade in politisch stabilen Ländern merken die Menschen, dass eine hohe Lebensqualität, Bildung und Kultur auch unter solchen Bedingungen nicht wegfallen muss. «Corona ist der Beweis dafür, dass die Personen- und Gütermobilität ohne jeglichen Wohlstandsverlust vermindert werden kann», so Weizsäcker weiter. 

Unser Wirtschaftssystem beruht auf einem Missverständnis 

In seinem Buch "Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen" beschreibt Ernst Weizsäcker das Problem des heutigen globalen Kapitalismus. Doch was heisst das? «Die Begründer vieler der momentan überwiegenden Doktrinen der heutigen Ökonomie wurden massiv falsch zitiert», erklärt Ernst Weizsäcker. Die Grundsteine unseres heutigen Wirtschaftssystems wurden bereits im 18. Jahrhundert gelegt. Pioniere wie Adam Smith sprachen davon, dass sich das Allgemeinwohl automatisch einstellt, wenn sich nur alle Akteure an ihrem eigenen Wohl orientierten. In einer globalisierten Welt gehen solche Theorien aber von falschen Tatsachen aus: Das Kapital ist, im Gegensatz zu damals, der mobilste Produktionsfaktor geworden, die Reichweite von Gütern kennt keine Grenzen mehr. 

Ernst Weizsäcker präzisiert das Problem: «Für Adam Smith war es selbstverständlich, dass die geografische Reichweite des Marktes identisch war mit jener des Rechtstaates und der Moral. Heute ist der Markt global, der Rechtsstaat hingegen im Wesentlichen national. So hat er nur noch eine schwache Kontrollfunktion gegenüber dem Markt, wodurch die Globalisierung auch eine Aushebelung des Rechtsstaates bedeuten kann.» Das Ergebnis ist eine Wegwerfgesellschaft, in der Güter zu einem minimalen Preis, dafür mit verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur produziert werden. «Es ist eine der grössten politischen Aufgaben unserer Zeit, wieder eine Balance zwischen Recht und Markt, zwischen öffentlichen und privaten Gütern herzustellen.» 

Flickr boellstiftung ernst ulrich von weizsaecker

Von der Wegwerf- zur Effizienzgesellschaft? 

Ernst Weizsäcker hat im China Council, welches die chinesische Regierung berät, bereits einen Lösungsansatz vorgeschlagen: «Jedes Jahr soll die Energie und die Primärrohstoffe um so viel Prozent verteuert werden, wie im vergangenen Jahr die Effizienz zugenommen hat. Das ist in der Logik identisch mit dem Erfolgsrezept der industriellen Revolution. Wenn die Arbeitsproduktivität gestiegen ist, sind fast automatisch im darauffolgenden Jahr auch die Bruttolohnkosten gestiegen. So erhöhte sich der betriebswirtschaftliche Zwang, die Arbeitsproduktivität weiter zu steigern. Das ist für Energie und Primärrohstoffe physikalisch gesehen auch ohne weiteres möglich.» Eine industrielle Revolution also, bei der anstatt der Arbeitsproduktivität der effiziente Einsatz von Rohstoffen gesteigert wird. Laut Ernst Weizsäcker würden so bei gleichbleibendem Wohlstand nur ein Fünftel der heutigen Ressourcen benötigt werden. Durch die momentan vorherrschende Billigdoktrin wird aber jeglicher Effizienzgewinn in die Konsumvermehrung investiert: «Wenn Energie durch Effizienzgewinne billiger wird, nimmt der Energieverbrauch quantitativ zu. Das ist eine Ironie. Ein grosser Teil der technischen Entwicklung der letzten 30 bis 50 Jahre floss in die Erzeugung von Wegwerfwaren. Und Wegwerfen ist ja eigentlich eine Wohlstandszerstörung.» 

Mit Teamwork und Langfristdenken zur Balance 

«Eine wichtige Aufgabe unserer Zivilisation ist es, aus unserer eigenen Vergangenheit dasjenige weiterhin zu loben und zu schätzen, was umwelt- und coronaverträglich ist, was die positiven menschlichen Fähigkeiten wie Freundschaft, Teamwork und Langfristdenken wirklich kultiviert. Auf der anderen Seite müssen die eigentlich betrunkenen und nicht reflektierten Genüsse der Billigwirtschaft und der reinen Wachstumsideologe stärker korrigiert und in gewissem Sinne sogar überwunden werden. Wobei ich an keiner Stelle sage, der Wohlstand soll sinken, aber der Wegwerf- und Vergeudungswohlstand!» 

Teamwork und Langfristdenken: Das sind auch die Ansätze, mit denen wir am Forum ö 2020 gemeinsam Lösungen erarbeiten wollen. Freuen Sie sich auf hochkarätige Speaker*innen, aktuelle Themen und Dauerbrenner in abwechslungsreichen Formaten und selbstverständlich die lang vermisste Gelegenheit, sich persönlich auszutauschen. Wir freuen uns besonders, dass Ernst Ulrich von Weizsäcker den krönenden Abschluss des Events bildet. 

Aufgrund der Covid-19 Schutzmassnahmen wurde die Anzahl der Teilnehmenden reduziert. Sichern Sie sich also jetzt noch Ihr Ticket und helfen Sie mit, die Zukunft der Schweizer Wirtschaft zu schmieden!

- Das Interview wurde geführt durch: Nora Zindel, Kommunikation öbu

(Quelle Bild Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Heinrich Böll Stiftung)

(Quelle Titelbild: www.hellopazuzu.com)